Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt kontinuierlich – und damit auch die Zahl der pflegenden Angehörigen. Von den knapp 5 Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2021 wurden über 80 % im häuslichen Umfeld versorgt, ein Großteil überwiegend durch pflegende Angehörige. Mit der Frage, wie sich von Angehörigen erbrachte Pflegeleistungen im späteren Erbfall auswirken, befasst sich dieser Beitrag.
1. Auswirkungen bei gesetzlicher Erbfolge
Die Vorschrift des § 2057a BGB normiert, dass ein Abkömmling, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt und dadurch dazu beigetragen hat, das Vermögen des Erblassers zu erhalten oder zu vermehren, hierfür im Rahmen der Erbauseinandersetzung eine Ausgleichung unter den Abkömmlingen verlangen kann.
a) Tatbestandsvoraussetzungen
Ausgleichungsberechtigt sind gemäß § 2057a Abs. 1 S. 1 BGB Abkömmlinge des Erblassers, die als gesetzliche Erben berufen sind. Der ausgleichungsberechtigte Abkömmling muss den Erblasser „während längerer Zeit“ gepflegt haben. Wann dies erfüllt ist, ist anhand der Einzelfallumstände und insbesondere in Abhängigkeit von Art und Umfang der Pflege zu bestimmen. Die Pflegeleistungen müssen den Umfang bloßer Gefälligkeiten im Rahmen einer Eltern-Kind-Beziehung übersteigen (Rißmann, in: BeckOGK BGB, § 2057a Rn. 33). Seit der Neufassung der Norm durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts ist für Erbfälle ab dem 01.01.2010 allerdings nicht mehr erforderlich, dass der Abkömmling ganz oder teilweise auf berufliches Einkommen verzichtet hat.
Darüber hinaus setzt der Ausgleichungsanspruch negativ voraus, dass nicht bereits anderweitig ein Ausgleich erfolgt ist. So ist der Anspruch gemäß § 2057a Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ausgeschlossen, wenn und soweit für die Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt worden ist oder gemäß § 2057a Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB eine angemessene Geldleistung vereinbart war. Die in diesem Zusammenhang in der Praxis häufig auftretende Frage, ob Pflegegeld, das dem Abkömmling vom Erblasser ausgekehrt wird, als ein solcher Ausgleich angesehen werden kann, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt (vgl. DNotI-Report 2024, 5, 6). Gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 SGB XI steht das Pflegegeld dem Pflegebedürftigen persönlich zu, was für die Annahme eines Ausgleichs sprechen könnte. Allerdings ist der Gesetzgeber der Auffassung, dass es sich bei der Pflegegeldleistung nicht um ein Entgelt für erbrachte Pflegeleistungen, sondern um eine Art Anerkennung für innerfamiliäre Unterstützungsleistungen handelt (BT-Drucks. 18/5926, S. 122). Es sprechen gute Gründe dafür, diese gesetzgeberische Wertung auf den Ausschlusstatbestand des § 2057a Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB zu übertragen.
Sofern das weitergeleitete Pflegegeld seiner Höhe nach nicht einer üblichen Vergütung für die geleistete Pflege entspricht, handelt es sich also wohl nicht um ein angemessenes Entgelt.
b) Rechtsfolge und Berechnung des Ausgleichungsanspruchs
Gemäß § 2057a Abs. 3 BGB bemisst sich die Ausgleichung so, wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und auf den Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht – wobei angenommen wird, dass der Ausgleichungsbetrag nicht den Wert des gesamten Nachlasses erreichen darf (Lohmann, in: BeckOK BGB, § 2057a Rn. 10). In die vorzunehmende Gesamtschau sind etwa einzustellen: Umfang und Zeitpunkt der Leistungen des Abkömmlings, Höhe des eigenen Einkommensverlusts, immaterieller Wert der Leistungen für den Erblasser, Wert des Nachlasses sowie der Umfang, in dem der Nachlass durch die Leistungen des Abkömmlings erhalten oder vermehrt wurde (Rißmann, in: BeckOGK BGB, § 2057a Rn. 43). Es ist nicht erforderlich, alle Einzelleistungen und deren jeweiligen Wert zu bestimmen – was den ausgleichungsberechtigten Abkömmling in der Praxis auch regelmäßig vor erhebliche Schwierigkeiten stellen dürfte. Können sich die Beteiligten nicht über die Höhe des Ausgleichsanspruchs einigen, trifft ein Gericht diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsstreits nach Ermessen. Steht die Höhe des Ausgleichungsbetrages fest, wird dieser gemäß § 2057a Abs. 4 BGB zunächst vom zu teilenden Nachlass abgezogen und sodann dem Anteil des pflegenden Abkömmlings hinzugerechnet.
2. Auswirkungen bei gewillkürter Erbfolge
Für den Fall, dass der Erblasser die Erbfolge durch eine letztwillige Verfügung geregelt hat, findet gemäß § 2057a Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschrift des § 2052 BGB entsprechende Anwendung. Daraus folgt, dass auch Abkömmlinge des Erblassers, die als gewillkürte Erben in Höhe ihrer gesetzlichen Erbquoten oder im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbquoten zueinander als Erben eingesetzt sind, ausgleichungsberechtigt sind (Rißmann, in: BeckOGK BGB, § 2057a Rn. 10).
Ist der pflegende Abkömmling als Alleinerbe des Erblassers eingesetzt, stellt sich die Frage, ob die erbrachten Pflegeleistungen durch diese Erbeinsetzung bereits abgegolten sein sollen. Die Erbeinsetzung könnte in diesem Fall als angemessene Gegenleistung i.S.v. § 2057a Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB verstanden werden. Dies ist etwa der Fall, wenn der Wille des Erblassers nach den Gesamtumständen so auszulegen ist, dass die erbrachten Pflegeleistungen durch die Erbschaft umfänglich und abschließend kompensiert sein sollen. Der BGH hat dies jüngst in einem Fall angenommen, in dem der Erblasser die Erbeinsetzung ausdrücklich mit den erbrachten Pflegeleistungen begründet hat (BGH, Hinweisbeschl. v. 24.03.2021 – IV ZR 269/20). Der Anspruch auf Ausgleichung kann somit durch letztwillige Verfügung (auch konkludent) ausgeschlossen werden. Ist die Berücksichtigung der Ausgleichung nicht ausgeschlossen, kann grundsätzlich auch der zum Alleinerben eingesetzte pflichtteilsberechtigte Abkömmling die Ausgleichung seiner Leistungen gegenüber den Pflichtteilsansprüchen anderer Abkömmlinge geltend machen (BGH, Urt. v. 09.12.1992 – IV ZR 82/92).
3. Auswirkungen auf den Pflichtteil
Der Regelungsgehalt des § 2057a BGB wird durch die Vorschrift des § 2316 BGB ins Pflichtteilsrecht übertragen. Dies hat zur Folge, dass sich der Pflichtteil eines enterbten Abkömmlings entsprechend vermindert, wenn dem oder den erbenden Abkömmling(en) ein Ausgleichungsanspruch i.S.v. § 2057a BGB zusteht (vgl. DNotI-Report 2024, 5, 5).
Fazit
Hat ein Abkömmling des Erblassers Pflegeleistungen i.S.v. § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB erbracht, so wirkt sich dieser Umstand sowohl im Rahmen der Auseinandersetzung bei gesetzlicher Erbfolge als auch im Rahmen der Pflichtteilsberechnung aus. Der Anspruch auf Ausgleichung nach § 2057a BGB ist allerdings an den Erbteil gebunden und führt lediglich dazu, dass sich die Quoten der beteiligten Abkömmlinge im Rahmen der Auseinandersetzung verschieben (vgl. Fest, in: MüKo BGB, § 2057a Rn. 4; Rißmann, in: BeckOGK BGB, § 2057a Rn. 1). Der Erblasser kann die Ausgleichungspflicht in letztwilligen Verfügungen abändern oder gänzlich aufheben; genauso können die Erben einvernehmlich von § 2057a BGB abweichende Vereinbarungen treffen (Rißmann, in: BeckOGK BGB, § 2057a Rn. 53).
Die Vorschrift des § 2057a BGB findet ausschließlich für Abkömmlinge Anwendung. Nicht erfasst wird – obwohl in der Praxis wohl häufig vorkommend – unter anderem die Pflege durch den Ehegatten des Erblassers. Zwar wurde diskutiert, die Ausgleichungsberechtigung für Pflegeleistungen auf alle gesetzlichen Erben zu erstrecken. Dies wurde vom Gesetzgeber jedoch verworfen. Möchte der Erblasser für seinen Ehegatten oder andere pflegende Angehörige, die nicht seine Abkömmlinge sind, einen finanziellen Ausgleich schaffen, so ist dafür regelmäßig eine vertragliche Pflegevereinbarung notwendig.