Nach dem Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union mit Ablauf des 31.01.2020 ist es um den Brexit inzwischen deutlich ruhiger geworden. Die Unternehmen haben sich auf die damit verbundenen zollrechtlichen Konsequenzen, die auch in der Vertragsgestaltung von Lieferverträgen berücksichtigt werden müssen, inzwischen längst eingestellt.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs sowohl bei Handelsvertreter- als auch bei Vertriebshändlerverträgen gewisse Gestaltungsspielräume eröffnet. Bei Vertriebshändlerverträgen gibt es aus kartellrechtlicher Sicht aber auch einige erhebliche Risikofallen, die durch sorgsame Vertragsgestaltung umgangen werden können.
Ausgangspunkt der vorteilhaften Optionen in der Vertragsgestaltung ist § 92c HGB. Danach ist es möglich, bei einem Handelsvertreter, der außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes tätig werden soll, von den ansonsten zwingenden Vorschriften des deutschen Handelsvertreterrechts abzuweichen. In entsprechender Anwendung gilt dies auch für Vertriebshändlerverträge. Relevant wird diese Vorschrift insbesondere im Hinblick auf den ansonsten nach Vertragsbeendigung häufig anfallenden und eigentlich zwingenden nachvertraglichen Ausgleichsanspruch. Dieser kann also bei Handelsvertretern und bei Vertriebshändlern, die außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes tätig sein sollen, aus deutschrechtlicher Perspektive nunmehr wirksam ausgeschlossen werden. Der Brexit hat insofern also auch Vorteile für hiesige Unternehmen. Diese Gestaltungsmöglichkeiten sollte man natürlich nutzen. Bei einem Handelsvertreter muss allerdings berücksichtigt werden, dass das Vereinigte Königreich nach dem internen dortigen Recht ebenfalls einen solchen zwingenden nachvertraglichen Ausgleichsanspruch für Handelsvertreter kennt. Hier müssen entsprechende Sicherheitsmechanismen in die Verträge eingebaut werden, damit dieser Ausschluss nicht doch – aus englischer Sicht – wieder für unwirksam erklärt wird.
Neben diesen vorgenannten vorteilhaften Gestaltungsoptionen muss jedoch beachtet werden, dass das englische Kartellrecht auch ein paar Regelungen enthält, die sich als äußerst riskant erweisen können. So ist es beispielsweise in Vertriebshändlerverträgen nicht unüblich, dem Vertriebshändler eine Exklusivität zu gewähren, diese Exklusivität aber davon abhängig zu machen, dass er keine Wettbewerbsprodukte zu denen des Prinzipals vertreibt. Auch Gebietsbeschränkungen des Vertriebshändlers finden sich häufig in Vertriebshändlerverträgen. Die kartellrechtlichen Grenzen dieser Regelungen werden innerhalb der Europäischen Union von Artikel 101 AEUV sowie der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) geregelt. Die Europäische Kommission hat die Vertikal-GVO zum 01.06.2022 neu gefasst. Interessanterweise hat das Vereinigte Königreich einige der Änderungen in der neuen Vertikal-GVO nachgezeichnet, das heißt auch in die entsprechende interne Gesetzesregelung übernommen. Allerdings sind nicht alle Neuerungen der neuen Vertikal-GVO ins englische Recht übernommen worden. Beispielhaft ist hier zu nennen, dass die verwendeten Definitionen von „aktiven Verkäufen“ und „passiven Verkäufen“ nicht deckungsgleich sind. Auch die innerhalb der Europäischen Union nunmehr vorgesehene Möglichkeit, dass der Vertrag und damit auch die kartellrechtlichen Beschränkungen länger als fünf Jahre dauern, sofern nur der Vertriebshändler den Vertrag zum Ablauf der fünf Jahre ordentlich kündigen kann, ist so ins englische Recht nicht übernommen worden.
Daher ist bei der Gestaltung eines Vertriebshändlervertrages mit einem im Vereinigten Königreich tätigen Vertragspartner besondere Aufmerksamkeit geboten.