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Einigung der EU über Vorschriften zur Plattformarbeit: Auswirkungen in Deutschland?

Der Rat der EU hat am 11.03.2024 mitgeteilt, dass er sich auf die Verabschiedung einer Richtlinie zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen für Plattformbeschäftigte verständigt hat.

https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2024/03/11/platform-workers-council-confirms-agreement-on-new-rules-to-improve-their-working-conditions/

Hintergrund ist ein bereits seit Jahren laufender Prozess in der EU zur Etablierung von Vorschriften der Regulierung von sog. Plattformarbeit. Der genaue Inhalt der Verständigung des Rates ist noch nicht abschließend bekannt. Erst Ende Februar 2024 waren Einigungsbemühungen gescheitert, sodass durchaus zu vermuten ist, dass Änderungen an der bislang vorliegenden Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft 2021/0414 (COD) angebracht worden sind.

https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14450-2021-INIT/en/pdf

So soll auf Basis der bisher verfügbaren Informationen zusammengefasst werden, was Gegenstand der Regulierungsbemühungen sein kann und welche Auswirkungen auf das deutsche Recht zukommen können. Dabei ist zu betonen, dass es sich vorliegend um eine Richtlinie handelt, die ohnehin noch in nationales Recht umgesetzt werden muss. Insofern würde die Richtlinie selbst nach ihrer Verabschiedung noch keine unmittelbare Wirksamkeit bedeuten.

Dies vorrausgeschickt, ergeben sich aus unserer Sicht folgende wichtige Aspekte einer anstehenden Neuregelegung:

 

1. Das Phänomen der „Plattformarbeit“

Der zentrale Begriff der Regulierungsbemühungen der EU ist der Begriff der „Plattformarbeit“. Rechtspolitisch will die EU den Bereich online buchbarer Dienstleistungen von Einzelpersonen (Taxi, Haushaltshilfen, Essenslieferanten & Co.) zum Schutz dieser Dienstleister regulieren. Diese Personen sind regelmäßig als Einzelunternehmer tätig und von der Vermittlung der Plattformen abhängig. Sozialer Schutz und Transparenz stehen dabei im Mittelpunkt rechtspolitischer Zielsetzung in diesem rasant gewachsenen Markt.

Der Anwendungsbereich der Vorschriften der EU ist also von vornherein nur eröffnet, wenn eine solche Plattformarbeit vorliegt, was neben dem Kunden einen Einzelunternehmer auf der einen Seite und ein Plattformunternehmen auf der anderen Seite voraussetzt. Dieser Begriff, der in Art. 2 des bisherigen Richtlinienentwurfs vorgesehen ist, definiert Plattformarbeit als jede Arbeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert und in der Union von einer Person auf Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen der digitalen Arbeitsplattform und der Person ausgeführt wird, unabhängig davon, ob ein Vertragsverhältnis zwischen der Person und dem Empfänger der Dienstleistung besteht. Für die Einstufung als Plattformarbeit in diesem Sinnen ist es also zunächst unerheblich, wie die einzelnen Vertragsverhältnisse ausgestaltet sind bzw. zwischen welchen Beteiligten ein Vertragsverhältnis entsteht.

Die Plattformarbeit ist daher ihrem Wesen nach dadurch gekennzeichnet, dass über eine digitale Plattform Dienstleistungen zwischen Kunde und Einzelunternehmer vermittelt werden und die Plattform selbst nicht von dem Einzelunternehmer, sondern von einer dritten Person betrieben wird. Die digitale Arbeitsplattform wird wiederum nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Richtlinienentwurfes so definiert, dass jede natürliche oder juristische Person die eine kommerzielle Dienstleistung erbringt eine digitale Arbeitsplattform unterhält, die alle der folgenden Anforderungen erfüllt:

a) sie wird zumindest teilweise auf elektronischem Wege, z. B. über eine Website oder eine mobile Anwendung, aus der Ferne bereitgestellt;

b) sie wird auf Verlangen eines Empfängers der Dienstleistung erbracht;

c) sie umfasst als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation der von Einzelpersonen geleisteten Arbeit, unabhängig davon, ob diese Arbeit online oder an einem bestimmten Ort ausgeführt wird

Diese Anforderungen dürften schnell erfüllt werden, da alle möglichen Dienstleistungen heute mit Unterstützung von digitalen Plattformen vermittelt werden. Bei einer extensiven Auslegung der Vorschriften droht also ein sehr weitgehender Anwendungsbereich der Vorschriften.

Vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Richtlinie dürfte allerdings eine zurückhaltendere Auslegung des Anwendungsbereichs überzeugender sein. Ausweislich der Mitteilungen der EU soll es bei der Richtlinie um die Regulierung ganz spezifischer Formen digitaler Plattformarbeit gehen, hier sind insbesondere Essenslieferanten, Taxiunternehmen und Haushaltshilfen benannt, weshalb die regulierte Plattformarbeit strukturell mit den bekannten Plattformen wie „uber“, „Lieferando“ & Co. vergleichbar sein müsste.

Die Vorstellungen der EU bei der Verabschiedung der Richtlinie waren also eher, dass eine Vielzahl von Einzelunternehmer über eine gemeinsame Plattform mit Aufträgen versorgt werden, wobei die zentrale Steuerung der jeweiligen Aufträge über diese digitale Plattform stattfindet und die Kunden direkt über eine Plattform diese Dienstleistungen buchen. Darüber hinaus spricht die Richtlinie nur von Dienstleistungen und nicht etwa von Werkleistungen.

 

2. Statusbestimmung bei Plattformarbeit

Die Richtlinie wird voraussichtlich eine Reihe von Vorgaben in Bezug auf die Transparenz und Plausibilisierung des Einsatzes von Algorithmen bei der Plattformarbeit enthalten, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Von zentraler Bedeutung ist die Zuordnung der Dienstleister im Bereich der Plattformarbeit als abhängig Beschäftigte. Damit geht im Regelfall ein Statuswechsel der Personen einher.

Die Richtlinie ist dabei so ausgestaltet, dass eine Vermutungswirkung zugunsten einer abhängigen Beschäftigung der Plattformbeschäftigten ausgehen soll, sodass eine Beweislastumkehr stattfindet. Das bedeutet konkret, dass der Beschäftigtenstatus der vermittelten Personen im Sinne einer arbeitsvertraglichen Ausgestaltung vermutet wird und es Aufgabe des Plattformbetreibers bzw. der eingesetzten Person wäre, im Einzelfall aufzuzeigen, dass tatsächlich keine abhängige Beschäftigung vorliegt.

Vorausgesetzt wird dabei, dass die digitale Arbeitsplattform bzw. ihr Betreiber die Arbeitsleistungen des Beschäftigten kontrolliert. Der Plattformbetreiber muss also ein gewisses Maß an Kontrolle über die verrichtete Dienstleistung bzw. über die eingesetzte Person ausüben, damit überhaupt die rechtliche Vermutungswirkung eintritt. Die EU hat dazu einen Katalog von Kriterien vorgeschlagen, der von den Mitgliedsstaaten ergänzt werden kann, wobei zwei der Kriterien aus dem Katalog erfüllt sein müssen, um von einer Kontrolle auszugehen. Diese Kriterien lauten wie folgt:

a) effektive Bestimmung der Höhe der Vergütung oder Festlegung von Obergrenzen der Vergütung;

b) Aufforderung der Plattformarbeit leistenden Person, bestimmte verbindliche Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger der Dienstleistung bzw. in Bezug auf die Arbeitsleistung einzuhalten;

c) Überwachung der Arbeitsleistung oder Überprüfung der Qualität der Arbeitsergebnisse, auch auf elektronischem Wege;

d) effektive Einschränkung der Freiheit, die Arbeit zu organisieren – insbesondere den Ermessensspielraum bei der Wahl der Arbeitszeit oder der Abwesenheitszeiten –, Aufgaben an- bzw. abzulehnen oder die Dienste von Unterauftragnehmern oder Ersatzkräften in Anspruch zu nehmen, auch durch den Einsatz von Sanktionen;

e) effektive Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.

Die Kriterien sind nach deutschem Recht zumindest teilweise bereits im Zusammenhang mit Statusfragen nach dem Sozialversicherungsrecht bekannt. Das mindestens zwei dieser genannten Kriterien erfüllt sein müssen, führt dazu, dass im Regelfall bei der Annahme einer digitalen Plattform auch davon ausgegangen werden kann, dass die Vermutungswirkung einschlägig ist. Lediglich bei Plattformen, die selbst nur als Vermittler auftreten und selbst keinerlei Einfluss auf die Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse usw. ausüben, dürfte diese Vermutungswirkung nicht eingreifen.

Liegt nach diesen Kriterien eine digitale Plattform vor und übt diese die Kontrolle der Arbeitsleistung aus, so entsteht die gesetzliche Vermutung, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, was nach deutschem Recht dazu führt, dass die arbeitsrechtlichen (Arbeitszeit, Vergütung, Urlaub usw.) und die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen einzuhalten sind, der Arbeitgeber also vor allem die Sozialversicherungsbeiträge abführen oder rückwirkend erstatten muss.

Die Vermutungswirkung bedeutet aber auch, dass diese widerlegt werden kann. Nach deutschem Recht müssten sich sinnvollerweise konkrete Verfahren, vergleichbar mit dem Statusfeststellungsverfahren, herausbilden, nach denen die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit im Einzelfall erfolgen kann. Dabei dürfte allerdings schon jetzt klar sein, dass bei Vorliegen der o.g. Voraussetzungen es im Regelfall nicht gelingen dürfte, die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit zu erreichen.

 

3. Konkrete Folgen und Änderungen zum status quo

Vor dem Hintergrund der skizzierten und „drohenden“ europäischen Regelungen zur Plattformarbeit stellt sich die Frage, ob und inwiefern hier Änderungen in Bezug und in Rekurs auf das aktuell geltende deutsche Arbeits- und Sozialversicherungsrecht anstehen.

Die Änderungen dürften, jedenfalls außerhalb der großen Plattformen, überschaubar ausfallen. Die Regulierung der Plattformarbeit dürfte in anderen europäischen Ländern, in denen die Abgrenzung selbstständiger Tätigkeiten zu Arbeitsverhältnissen im Falle von Einzelunternehmern im Dienstleistungsbereich weniger reguliert sind, deutlich einschlägiger sein. Wenn nicht de jure so ist doch mindestens de facto in Deutschland bereits festzustellen, dass in Fällen der Erbringungen von Dienstleistungen durch Einzelunternehmer bereits von einer Vermutungswirkung zulasten einer selbstständigen Tätigkeit gesprochen werden kann.

Vgl. zuletzt nur etwa BSG, Urteil vom 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R, BeckRS 2022; BSG, Urt. v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, DStR 2019, 2429; BSG 14.3.2018 B 12 KR 13/17 R, Rn. 20, NJW 2018, 2662.

Die Kriterien für die Begründung einer abhängigen Beschäftigung werden (mittlerweile) derart weit interpretiert, dass die ursprüngliche Zweckrichtung der Bekämpfung von „Scheinselbstständigkeit“ längst aufgegeben worden zu sein scheint. Ursprünglich konnte vor dem Hintergrund sozialstaatlicher Erwägungen noch angenommen werden, dass insbesondere dort, wo gegen vergleichsweise geringe Bezahlung Einzelunternehmen wie Arbeitnehmer eingesetzt wurden, Selbstständigkeit letztlich in die Altersarmut führte. Das ist für die mittlerweile entschiedenen Fälle längst nicht mehr überzeugend anzunehmen. Wenn Honorarärzte, Lehrkräfte, Rechtsanwälte, Gesellschaftergeschäftsführer usw. mittlerweile als scheinselbstständig identifiziert werden, dürfte der soziale Gesichtspunkt in Bezug auf die Absicherung individueller sozialer Risiken oder dem Schutz der Gemeinschaft vor zunehmender Altersarmut nicht mehr die primäre Motivation sein.

Vor diesem Hintergrund dürfte die Vermutung einer abhängigen Beschäftigung bei Plattformarbeit durch europäische Regulierung kaum zu einer relevanten anderen Einstufung als nach dem deutschen Recht bereits bisher.

Zu Coworkern:

BAG, Urteil v. 01.12.2020, 9 AZR 102/20, juris.

Relevant kann die Definition von Plattformarbeit in Bezug auf Rechtsetzung zu digitalen Plattformen aber perspektivisch sein. Auch die konkrete Ausgestaltung und Auswirkung der Vermutungsregelung dürfte mit Interesse zu beobachten sein, bspw. im sanktionsbezogenen Kontext. So könnte die Vermutungswirkung bspw. zur Folge haben, dass Auftraggeber sich künftig grundsätzlich oder jedenfalls niedrigschwelliger vorsätzliches Verhalten vorwerfen lassen müssen.

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