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Entschädigung für Coronamaßnahmen – nun doch?

I. Hintergrund

Das Oberverwaltungsgericht Thüringen (OVG) habe mit Bezug zu einer zuvor ergangenen Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) aus März 2021 die in Thüringen geltende Coronaschutz-Verordnung aus dem Frühjahr 2020 für verfassungswidrig erklärt. So heißt es in einem Bericht auf der Website von JUVE (https://www.juve.de/verfahren/folgenschwerer-formfehler-bei-corona-verordnungen-entschaedigung-fuer-haendler-wird-wahrscheinlicher).

Die Entscheidung des OVG ist im Volltext nicht verfügbar, sodass wir uns zunächst nur auf Berichterstattung über diese Entscheidung beziehen können. Die Entscheidung des VerfGH vom 01.03.2021 (Az: 18/20) ist hingegen verfügbar, sodass im Wesentlichen auf diese Entscheidung Bezug genommen wird.

Mit den Entscheidungen des OVG und des VerfGH wird die Verfassungswidrigkeit der Coronaschutzverordnung Thüringen aus dem Frühjahr 2020 (Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2) (Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung -ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0-) festgestellt. Allein tragendende Begründung dabei ist, dass der Verordnungsgeber gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Zitiergebots verstoßen haben soll.

Im Einzelnen geht es um die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Zusammenhang mit sogenannten subdelegierten Verordnungen. Nach Ausführungen des VerfGH hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 18.06.2019 bereits festgestellt, dass eine subdelegierte Verordnung die Ermächtigungsgrundlage zu zitieren hat, auf derer Grundrechtseingriffe gesetzlich im Wege einer Verordnung überhaupt zugelassen sind.

Verfassungsgerichtshof Thüringen, Urteil vom 01.03.2021, Az. 18/20, Seite 64 mit Verweis auf Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.06.2019, Az. 1 BvR 587/17 u. a.

Im Einzelnen heißt es hier:

„Mit Beschluss vom 18.06.2019 hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG auch im Falle der Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG gilt (Bundesverfassungsgericht 151, 173 [179] = juris, Rdnr. 16). Hiernach muss die subdelegierende Verordnung zusätzlich zur gesetzlichen Verordnungsermächtigung die Ermächtigung zur Subdelegation angeben.“

(Verfassungsgerichthof Thüringen, Urteil vom 01.03.2021, Az. 18/20, Seite 66)

In diesem Sinne findet sich in § 32 des Infektionsschutzgesetzes (IFSG) eine gesetzliche Vorschrift, die es den einzelnen Bundesländern im Wege der Subdelegation ermöglicht, grundrechtseingreifende Maßnahmen i.S.v. Ge- und Verboten zur Bekämpfung der Coronapandemie zu erlassen und auf andere Stellen zu übertragen.

§ 32 Erlass von Rechtsverordnungen

Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) können insoweit eingeschränkt werden.

In Thüringen wurden die grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen der ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0 allerdings zunächst von dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erlassen und nicht von der Landesregierung. In den Verordnungsgrundlagen in Thüringen wurde als Ermächtigungsgrundlage neben anderen Vorschriften lediglich § 32 Satz 1 IFSG zitiert. Die Ermächtigung zur Subdelegation findet sich allerdings in § 32 Satz 2 IFSG.

Der Verstoß gegen das Zitiergebot durch den Verordnungsgeber führt zur Nichtigkeit der gesamten Verordnung. Nichtigkeit bedeutet insofern, dass die Regelungen zu keinem Zeitpunkt wirksam bestanden haben. Dies umfasst sämtliche Grundrechtsbeschränkungen, unter anderem auch sämtliche Einschränkungen bspw. für den Bereich des Einzelhandels zu dieser Zeit.

Es ist weiter zu betonen, dass weder der VerfGH noch das OVG Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen angemeldet haben. Insbesondere haben beide Gerichte nicht in Zweifel gezogen, dass bestimmte Beschränkungen für den Einzelhandel, hier ging es u. a. explizit um die 800 qm² Regelung, verfassungsrechtlich zu beanstanden gewesen wäre.

Weiterhin ist zu erwähnen, dass mit Entscheidungen vom 19.11.2021 das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Lockdown-Maßnahmen in Form von Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen aus April 2021 (Bundesgesetzblatt I 2021, Seite 802) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Einzelnen führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen schwerwiegendste Grundrechtseingriffe darstellen. Derartige Maßnahmen aber vor dem Hintergrund einer nationalen Notlage in äußersten Gefahrensituationen dann zulässig sein können, wenn Sie zum Zeitpunkt ihres Erlasses vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse vertretbar erscheinen und im Sinne der bestehenden Erkenntnisse und Strategien nachvollziehbar begründet sind. Der Gesetzgeber hat nach dem Bundesverfassungsgericht dann einen besonders weiten Spielraum, wenn er mit ungewöhnlichen und besonders bedrohlichen Gefahrensituationen konfrontiert ist.

Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 19.11.2021, Az. 1 BvR 781/21 u. a. sowie Az. 2 BvR 1872/21.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind einstimmig ergangen.

II. Rechtliche Folgerungen

Aus der Gesamtschau der Entscheidungen des VerfGH, des OVG sowie des Bundesverfassungsgerichts können erste wesentliche Erkenntnisse und Rückschlüsse auch bzgl. der Beurteilung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie gezogen werden. Es stellen sich vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen außerdem Fragen nach etwaigen Entschädigungen bzw. Schadensersatz für betroffene Unternehmen.

1. Materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahmen

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen überdeutlich, was aus unserer Sicht bereits durch die Rechtsprechung in der Vergangenheit nahegelegt wurde: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind selbst in ihren schwersten Ausprägungen in aller Regel mit dem Grundgesetz vereinbar (gewesen). Sie müssen als rechtmäßig angesehen werden. Dies gilt selbstverständlich nicht für alle Maßnahmen und für jede einzelne Maßnahme ganz konkret. Im Großen und Ganzen werden die Einschränkungen für betroffene Bürgerinnen und Bürger, aber auch für betroffene Unternehmen, als vertretbare staatliche Reaktion auf die Coronapandemie anzusehen sein. Sie mögen politisch umstritten sein, sie sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache aber vertretbar.

In entschädigungsrechtlicher Hinsicht folgt daraus, was wir bereits im März 2020 prognostiziert haben:

Entschädigung wird sich überhaupt in diesem Zusammenhang nur ergeben können, wenn man über Instrumente des sogenannten enteignenden Eingriffs und damit über Entschädigung für rechtmäßige staatliche Maßnahmen spricht. Die Hürden für Entschädigung nach diesen Grundsätzen sind allerdings vergleichsweise hoch, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass Entschädigungen für rechtmäßige Maßnahmen derzeit von den Gerichten nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden und nach bisher vorliegender Rechtsprechung folglich auch abgelehnt wurde.

Vgl. hierzu etwa Landgericht Hannover, Urteil vom 09.07.2020, Az. 8 O 2/20, NVwZ-RR 2020, 1226 ff.; Landgericht Berlin, Urteil vom 13.10.2020, Az. 2 O 247/20, NVwZ-RR 2021, Seite 301 ff.

2. Entschädigung für legislatives Unrecht

Eine andere Frage mag sich dort stellen, wo Entschädigung für Maßnahmen beansprucht werden soll, die sich, wie in Thüringen, im Nachhinein als nichtig herausstellen. In diesem Fall könnte vom Staat nach den Grundsätzen der Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG Schadensersatz verlangt werden. Auch die Instrumente des enteignungsgleichen Eingriffes für beschränkende rechtswidrige Maßnahmen können hier ggf. eine Entschädigung zur Folge haben.

Folgende mögliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüchen ergeben sich zusammengefasst bzgl. etwaiger Ansprüche:

  • Es stellt sich zunächst die Frage nach der Drittbezogenheit von sogenanntem legislativen Unrecht.
  • Es stellt sich die Frage nach der Kausalität eines Schadens.
  • Es stellt sich außerdem die Frage nach dem Verschulden der handelnden Personen.

a) Drittbetroffenheit

Entschädigung und Schadensersatz kann nach allen Vorschriften nur verlangt werden, wenn Pflichten verletzt worden sind, die sich auch gegenüber den Anspruchstellern selbst ergeben. Objektive Verpflichtungen reichen hier nicht aus. Das bedeutet in Fällen sogenannten legislativen Unrechts, hier: Rechtsnormen sind verfassungswidrig, muss sich die Verpflichtung zu einer ordnungsgemäßen Schaffung von Rechtsgrundlagen für den Anspruchsteller selbst in subjektiver Hinsicht ergeben und die Verpflichtungen des Normengebers dürfen nicht nur abstrakt und objektiv gegenüber der Allgemeinheit bestehen.

Eben dies zeigt das grundsätzliche Problem auf. Denn zunächst gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass es keine Entschädigung bzw. keinen Schadensersatz für sogenanntes legislatives Unrecht gibt oder geben kann.

Vgl. hierzu ausführlich Schmitt/Werner, NVwZ 2017, Seite 21 ff.; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung zu § 903, Rdnr. 94 f.; BGH, Urteil vom 28.01.2021, Az. III ZR 25/20, NZM 2021, 391 ff. Geiger, NVwZ 2020, 1234 ff. alle mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH.

Hintergrund ist, dass die Verpflichtung zu einer angemessenen und korrekten Normgebung zunächst eine Verpflichtung der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber gegenüber der Allgemeinheit und nicht gegenüber konkreten Personen oder Unternehmen ist. Nur in wenigen Ausnahmefällen, in denen etwa gezielt durch eine Rechtsnorm, etwa im Sinne eines Einzelfallgesetzes, auf Rechte eines Betroffenen zugegriffen wird, ohne dass Vollzugsakte der Verwaltung noch erforderlich sind, mag anderes gelten.

Es stellt sich insofern vor dem Hintergrund der Coronapandemie die Frage, ob die jeweiligen Coronaschutz-Verordnungen in diesem Sinne hinreichend konkret und individualisierbar sind, dass Schadensersatzansprüche für bestimmte betroffene Personen erwachsen können. Da das Normwerk insgesamt alle Teile der Bevölkerung adressiert, und für sich betrachtet eher nicht dazu bestimmt war (jedenfalls überwiegend und intentional), zulasten einer ganz bestimmten Personengruppe oder bestimmten Unternehmen oder Branchen erlassen worden ist, ist zweifelhaft, ob in dieser Hinsicht diese Verordnungen hinreichend konkret und individualisierbar sind, sodass die Betroffenen aufzeigen können, dass legislatives Unrecht ausnahmsweise zu Schadensersatzverpflichtungen führen können.

b) Kausalität und Verschulden

Darüber hinaus stellt sich bei legislativen Unrecht immer auch die Frage, ob überhaupt ein kausaler Schaden vorliegt. Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens würde insofern bedeuten, dass der Verordnungsgeber argumentieren würde, im Falle der Kenntnis insbesondere von formellen Rechtsverstößen hätte er in einer Weise reagiert, dass er die Zitiervorschriften korrekt erfüllt hätte. Dies ist auch plausibel. Er hätte vermutlich an dem materiellen Inhalt der Verordnung überhaupt nichts geändert.

Letztlich ist ‒ jedenfalls für einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung ‒ erforderlich, dass die Pflichtverletzung schuldhaft erfolgt ist. Dass der Verordnungsgeber hier schuldhaft gegen das Zitiergebot verstoßen hat, ist zumindest zweifelhaft und müsste im Einzelnen begründet werden.

III. Ergebnis

Vor dem Hintergrund der dargelegten Argumente ist es auch unserer Sicht derzeit so, dass lediglich in den Fällen wo tatsächlich durch Gerichte festgestellt worden ist, dass bestimmte Vorschriften der Corona-Bekämpfung inhaltlich zu beanstanden gewesen sind, über Entschädigungen und Schadensersatz ernsthaft nachgedacht werden kann.

Bei Verstößen gegen formelle Rechtsvorschriften, wie bspw. dem Zitiergebot, dürfte dies hingegen fernliegen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass entgegen so mancher Behauptung, aus unserer Sicht von vornherein höchstwahrscheinlich gewesen ist, dass das Bundesverfassungsgericht auch schwerwiegendste Grundrechtseingriffe in Zeiten der Coronapandemie für mit dem Grundgesetz vereinbar erklären wurde. Es gehört zu den allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsätzen, dass dort besonders weite Spielräume für Grundrechtseingriffe bestehen, wo nationale Notlagen besonderer Schwere und Tragweite bestehen und sich die Maßnahmen zumindest an dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Maßnahmen ausrichten. Das Bundesverfassungsgericht ist kein Ersatzparlament und bestimmt nicht ersatzweise die Strategien und Maßnahmen in einer nationalen Risikolage. Es ist der politische Raum, wo derartige Maßnahmen zu diskutieren und festzulegen sind. Das Bundesverfassungsgericht kann nur die rechtlichen Grenzen festlegen, an die solche Maßnahmen stoßen können. Diese Grenzen sind aber besonders dort weit zu ziehen, wo auch der Gesetzgeber selbst ohne weitere Erfahrungen auf besonders dramatische Notlagen zu reagieren hat.

Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass auch vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung nur in wenigen Fällen realistisch mit Entschädigung oder Schadensersatz für Coronamaßnahmen zu rechnen sein dürfte. Insbesondere dort, wo formelle Rechtsverstöße in Rede stehen, können wir derartige Ansprüche eher nicht erkennen. Anderes mag gelten, wo vom Gericht einzelne Maßnahmen aus inhaltlichen Gründen aufgehoben oder bestimmte Branchen atypisch getroffen worden sind.

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