Die Möglichkeit zur Abgabe von Bewertungen über entsprechende Portale und die Voraussetzungen zur Löschung von negativen Bewertungen bleiben Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Auseinandersetzungen, in denen der BGH immer wieder seine Vorgaben konkretisiert. Zuletzt hat der BGH zugunsten des Arztbewertungsportals Jameda entschieden und es für unproblematisch gehalten, dass Bewertungsportale auch eigene kommerzielle Interessen verfolgen und für die Bewerteten kostenpflichtige Leistungen erbringen, solange diese sich nicht auf die Kernbereiche der Suche und Bewertung auswirken. Jetzt hat der BGH eine Entscheidung zugunsten der Bewerteten getroffen, die weitreichende Folgen für das Modell zahlreicher Bewertungsplattformen haben dürfte.
Der BGH hatte bereits in früheren Entscheidungen festgestellt, dass Bewertungsplattformen eine gesellschaftlich gewünschte Funktion erfüllen. Sie ermöglichen es Nutzern, ihre Bewertungen im Rahmen der Meinungsfreiheit zu veröffentlichen, wobei ausdrücklich auch eine Bewertung in anonymer Form oder durch einen selbstgewählten Nutzernamen (pseudonym) vorgesehen sein soll. Gleichzeitig hat der BGH auch bereits in der Vergangenheit angedeutet, dass gerade die Möglichkeit zur Abgabe von anonymen bzw. pseudonymen Bewertungen auch dazu führen kann, dass grundlos negative Bewertungen erfolgen, die dann in das Persönlichkeitsrecht des Bewerteten eingreifen. Es gilt insoweit weiterhin die Faustformel, dass hinsichtlich falscher Tatsachenbehauptungen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht zur Ausübung der Meinungsfreiheit gegenüber den geschützten Interessen der Bewerteten zurücktreten müssen, da kein anerkanntes Interesse an der Veröffentlichung falscher Tatsachen besteht. Bei richtigen Tatsachen oder der Überprüfung einer Richtigkeit von nicht zugänglichen Werturteilen (Meinungen) genießen die Interessen aller Veröffentlichungen Vorrang, sodass auch negative Folgen grundsätzlich zu dulden sind.
Zuletzt gab es Streit vor allem hinsichtlich der Frage, ob eine Bewertung implizit die Tatsachenbehauptung beinhaltet, dass die bewertende Person zuvor Leistungen des Bewerteten in Anspruch genommen hat. Wenn dies so angenommen werden muss, dann wäre hinsichtlich jeder Bewertung zu überprüfen, ob tatsächlich die bewertende Person ein Kunde bzw. – bezogen auf Reise- und Hotelleistungen – ein Gast gewesen ist. Jedenfalls bezogen auf vollkommen anonyme Bewertungen dürfte der Nachweis im Regelfall weder für das Bewertungsportal noch für den Bewerteten zu führen sein. Vor diesem Hintergrund ist es von entscheidender Bedeutung, wer im Falle einer rechtlichen Auseinandersetzung die Beweislast für die Gästeeigenschaft zu tragen hat. In seiner aktuellen Entscheidung hat der BGH hierzu eine „Klarstellung“ vorgenommen, wonach es für den Bewerteten immer ausreichend ist, pauschal die Gästeeigenschaften zu bestreiten (BGH, Urt. v. 09.08.2022, Aktenzeichen VI ZR 1244/20). In der Vorinstanz hatte das OLG Köln noch etwas differenzierter darauf abgestellt, ob anhand der Bewertungen möglicherweise für den Bewerteten Rückschlüsse auf die bewertende Person möglich waren und wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei dem Bewertenden tatsächlich um einen Gast gehandelt hat. In ähnlicher Hinsicht konnten auch frühere Entscheidungen des BGH verstanden werden, sodass der BGH sich jetzt zu einer Klarstellung veranlasst gesehen hat.
Die neue Vorgabe führt voraussichtlich dazu, dass es für Bewertungsportale faktisch nicht mehr möglich ist, den eigenen Nutzern die Möglichkeit zur Abgabe von anonymen Bewertungen zu ermöglichen. Selbst wenn im Außenverhältnis eine Veröffentlichung unter einem Pseudonym denkbar ist, müsste das Bewertungsportal immer Details zu dem Nutzer erfragen und speichern, damit im Falle einer späteren Beschwerde eine Überprüfung erfolgen kann. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wurde unter anderem darüber gestritten, ob es den Bewertungsportalen diesbezüglich zumutbar ist, entweder vorab generell Nachweise der Gästeeigenschaft zu verlangen oder dies zumindest im Einzelfall bei Beschwerden nachzuholen. Für den jetzt betroffenen Bereich der Reiseportale mag dies noch denkbar sein, für viele andere Bewertungssituationen kommt dies dagegen nicht in Betracht. Letztlich kann die Entscheidung des BGH auch als Einladung (miss-) verstanden werden, jederzeit unliebsame Wertungen pauschal mit dem Argument anzugreifen, bei der bewertenden Person könne es sich aufgrund der negativen Bewertung gar nicht um einen Kunden bzw. einen Gast gehandelt haben. Setzt sich dieses Vorgehen noch weiter als bisher durch, stellt sich die Grundsatzfrage der Glaubwürdigkeit von Bewertungsportalen, wenn diese nur noch eingeschränkt ein objektives Bild vermitteln können, weil kritisierte Unternehmen ohne großen Aufwand Bewertungen löschen lassen können und es jetzt schon zahlreiche Dienstleister gibt, die das Vorgehen euphemistisch als Reputationsmanagement bezeichnen. Vergeblich hatte das betroffene Bewertungsportal in dem Verfahren beim BGH vorgetragen, dass das Risiko einzelner, bewusst negativer Bewertungen deutlich höher ist als das Risiko, dass ein Großteil von Bewertungen mangels hinreichender Nachweise bestehen bleiben kann. Im konkreten Fall hatten sich die Gerichte sehr ausführlich damit befasst, dass die Mehrzahl der angegriffenen Bewertungen vermutlich tatsächlich von Gästen stammt, dies letztlich aber nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden könne. Den BGH hat dies nicht daran gehindert, die Nachweispflicht einseitig pauschal auf den Portalbetreiber abzuwälzen. Auf den ersten Blick ist dies natürlich eine gute Nachricht für die Bewerteten, dennoch kann und sollte die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt eines allgemeinen Interesses an objektiven Bewertungen kritisch gesehen werden.
Der Autor hat die Entscheidung des BGH für die Zeitschrift jusIT kommentiert; die Besprechung erscheint in der kommenden Ausgabe (Heft 5/2022).