Brandi mbB - Logo

Beitrag

Aktuelle ThemenÖffentliches Recht

Notfallplan Gas - Alarmstufe für die Industrie?

Aktuelle Handlungsmöglichkeiten und –notwendigkeiten

Am 23.06.2022 hat Bundeswirtschaftsminister Habeck die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die sog. Alarmstufe, aktiviert. Praktisch hat dies für Verbrauchsstellen bislang kaum fühlbare Auswirkungen. Doch welche weiteren Schritte drohen? Was kann schon jetzt getan werden, um die Auswirkungen für die eigene Produktion und den eigenen Betrieb möglichst gering zu halten?

I. Hintergrund

Von der EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (VO (EU) 2017/1938, sog. SoS-VO) über das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), die Gassicherungsverordnung (GasSV) und das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) ist eine Vielzahl an rechtlichen Regelungen für die staatlichen Reaktionsmöglichkeiten auf eine Gasknappheit maßgeblich.

Der Stufenplan, der aktuell allerorts thematisiert wird und auf der SoS-VO fußt, sieht drei Stufen vor: Die Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Die geltende (zweite) Alarmstufe wirkt sich vordergründig auf Gasversorgungsunternehmen und Fernleitungsnetzbetreiber aus, Verbrauchsstellen sind von ihr noch nicht unmittelbar betroffen.

Das Schreckensgespenst stellt indes die (dritte) Notfallstufe dar. Wird diese ausgerufen, steht der Bundesregierung das Instrumentarium des EnSiG und der GasSV zur Verfügung. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) würde ihre Funktion als Bundeslastverteilter wahrnehmen und könnte hoheitlich die Gaszuteilung an Verbrauchsstellen bestimmen, um die notwendige Gasversorgung sicherzustellen. Welche Verbrauchsstellen von Eingriffen betroffen wären, hat die BNetzA im Einzelfall zu entscheiden und betont bislang, dass keine abstrakte Abschaltreihenfolge vorbereitet würde. Die BNetzA führt eine Datenerhebung bei großen Gasverbrauchern mit einer technischen Anschlusskapazität von mehr als 10 MWh durch. Kleinere Verbrauchsstellen werden bislang nicht erfasst und sollen auch in der zu schaffenden Online-Plattform nicht erfasst werden.

Daneben wird öffentlich weniger darüber gesprochen, dass die BNetzA ein weiteres Instrument bereits jetzt in der Hand hat, wenn sie eine „verstetigte Reduzierung der Gesamtimportmengen“ feststellt. Die Folge wäre, dass Energieversorgungsunternehmen Preissteigerungen auch in bestehenden Preisgarantien an die Kunden weitergeben können (Einzelheiten dazu unter IV.).

II. Rechtliche Präventionsmaßnahmen: „Schutzanträge“

Wie eingangs bereits dargestellt, kann die BNetzA nach Ausrufung der Notfallstufe in Einzelfällen über einen Ausschluss vom Gasbezug, eine Gasverbrauchsreduktion oder eine Substitution von Erdgas entscheiden. Dabei ist bei einer frühen Ausrufung der Notfallstufe wahrscheinlich, dass per Allgemeinverfügung ganze Branchen betroffen werden, da die zur Verfügung stehende Datenlage der BNetzA für tatsächliche Einzelfallentscheidungen nur in besonderen Fällen ausreichen wird. Zu einem späteren Zeitpunkt sind auch Einzelfallentscheidungen in der Breite denkbar. Doch welche Kriterien wird die BNetzA dabei anlegen? Geschützt sind von Gesetzes wegen soziale Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser, Haushalte und Gaskraftwerke, die zugleich auch der Wärmeversorgung von Haushalten dienen (vgl. § 53a EnWG). Daneben werden abstrakte Kriterien angeführt:

  • Dringlichkeit der Maßnahme, insbesondere in Abhängigkeit der Ausprägung der Gasmangelsituation
  • Größe der Anlage und deren Gasbezug und somit die Wirkung einer Gasversorgungsreduktion
  • Vorlaufzeit zur Gasbezugsreduktion bzw. eines geordneten Herunterfahrens der Produktionsanlagen oder benötigte Vorlaufzeit zur Anpassung der Produktionsketten an einen verminderten Bezug
  • Zu erwartende (volks-/betriebs-) wirtschaftliche Schäden
  • Kosten und Dauer der Wiederinbetriebnahme nach einer Gasversorgungsreduktion, sofern möglich
  • Bedeutung für die Versorgung der Allgemeinheit

Langfristig will die BNetzA auch einbeziehen, ob ein Unternehmen zur Grundstoffindustrie gehört, ob die bei einem gasmangelbedingten Produktionsausfall fehlenden Güter importiert werden können und ob und inwieweit Lieferketten betroffen wären. Zu einer Verarbeitung dieser Daten sieht sich die BNetzA nach eigenem Bekunden zur Zeit nicht im Stande. 

Aus diesem Grund lässt sich von außen schwerlich bewerten, ob ein proaktives Handeln von Unternehmen von Seiten der BNetzA tatsächlich bearbeitet und beachtet werden kann. Aufgrund der zu befürchtenden erheblichen Auswirkungen einer behördlich angeordneten Gasverbrauchsreduktion oder eines Belieferungsstopps sollten die überschaubaren Mühen aber nicht gescheut werden, die BNetzA auf die individuelle Situation des Unternehmens hinzuweisen.

Eine Möglichkeit besteht darin, der BNetzA schriftlich die Situation des eigenen Unternehmens mitzuteilen und unter Betonung der dargestellten Kriterien herauszuarbeiten, warum das eigene Unternehmen nicht von Beschränkungsmaßnahmen betroffen werden sollte. Teilweise wird dies auch als „Schutzantrag“ bezeichnet. Auch Auswirkungen auf spätere Entschädigungs- und Härtefallausgleichsbegehren (§§ 11, 12 EnSiG) sind nicht auszuschließen.

Bei der Erstellung solcher „Schutzanträge“ können Sie auf die Unterstützung von BRANDI jederzeit bauen.

III. Tatsächliche Präventionsmaßnahmen: Alternativversorgung prüfen

Dass es auch und vor allem sinnvoll erscheint, eine Alternativversorgung bereits jetzt anzudenken, ist nicht zuletzt damit zu begründen, dass man behördlich angeordneten Substitutionen von Erdgas entgehen kann. Zudem ist man für den Fall behördlicher Maßnahmen gewappnet und zu schnellerer Reaktion im Stande. Leider handelt es sich bei der Möglichkeit von staatlichen Eingriffen in die Gasversorgung nicht mehr um ein bloß theoretisches Gedankenspiel.

Werden etwa bivalente Kraftwerke betrieben, sollte nach Bezugsmöglichkeiten anderer tauglicher Brennstoffe gesucht werden. Solche Bemühungen werden an vielen Stellen schon aus Preisgründen unternommen. Wo es möglich erscheint, sollten diese Bemühungen verstärkt werden.

IV. Erhöhung von Energiepreisen trotz laufender Preisgarantien?

Zuletzt ist auf die eingangs erwähnte Möglichkeit für Energieversorgungsunternehmen hinzuweisen, die Gaspreise auch in laufenden Vertragsverhältnissen entgegen einer vereinbarten Preisgarantie zu erhöhen und damit die Mehrkosten für die Ersatzbeschaffung an Kunden in der gesamten Lieferkette weiterzugeben. Die rechtlichen Instrumentarien sehen diese Möglichkeit in § 24 EnSiG explizit vor, sobald die BNetzA eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellt.  Dieser weitgehende Eingriff in die Bindungswirkung bestehender Verträge wird mit der notwendigen Versorgungsicherheit in Deutschland und Europa begründet. Auch Vorsorge in diesem Zusammenhang kann nur darin liegen, jeden Versuch zu unternehmen, die Abhängigkeit von Gas zu minimieren.

V. Zusammenfassung und Empfehlung

Zusammengefasst bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung die Notfallstufe tatsächlich ausrufen wird. Kommt es dazu, ist mit erheblichen staatlichen Eingriffen in die Gasverteilung zu rechnen. Um einer behördlich angeordneten Gasverbrauchsreduktion oder einem Belieferungsstopp zu entgehen, können Unternehmen sich proaktiv nur mit einem „Schutzantrag“ an die BNetzA wenden. Bei der Erstellung eines Schutzantrags steht BRANDI Ihnen jederzeit zur Verfügung. Zudem ist dringend anzuraten, sich mit den Möglichkeiten einer Alternativversorgung auseinanderzusetzen, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein.

Zuletzt sollte man sich vergegenwärtigen, dass Gasversorger auch in bestehenden Verträgen zu Preiserhöhungen berechtigt sein können, wenn behördlich eine „verstetigte Reduzierung des Gesamtimportmengen“ festgestellt wird.

Autoren