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Neues aus Luxemburg: EuGH entscheidet über die Zulässigkeit nationaler Verschärfungen von Eignungskriterien

I. Zum Hintergrund

Der EuGH entschied mit Urteil vom 31.03.2022 (C-195/21), dass öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags als Auswahlkriterien zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit strengere Anforderungen als die insoweit von den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Mindestanforderungen aufstellen dürfen, sofern mit den Anforderungen sichergestellt werden kann, dass die Bieter oder Bewerber über die erforderliche Eignung verfügen und die Anforderungen mit dem Auftragsgegenstand in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Anlass für diese Entscheidung war ein Vorabentscheidungsersuchen eines bulgarischen Gerichtes, dem ein Rechtsstreit über die öffentliche Auftragsvergabe von Bauleistungen für die Stabilisierung eines Erdrutsches zugrunde lag. Zu den Anforderungen an die „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ hieß es in der Auftragsbekanntmachung, die Bewerber müssten aufgrund der Besonderheiten des Auftrags das Vorhandensein eines technischen Leiters der Baumaßnahme mit der beruflichen Qualifikation „Konstrukteur“ oder „Bauingenieur“ oder einer vergleichbaren Qualifikation der Mitgliedstaaten nachweisen. Der technische Leiter sollte außerdem eine mindestens dreijährige Erfahrung in seinem Fachbereich nachweisen können.

Der Rechnungshof des Landes Bulgarien sah in den festgelegten Auswahlkriterien einen Verstoß gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs und erließ einen Bescheid über die Feststellung eines verwaltungsrechtlichen Verstoßes. Zur Begründung wurde ausgeführt, die in Rede stehende Bekanntmachung mit der Anforderung, einen technischen Leiter zu benennen, der über die berufliche Qualifikation „Konstrukteur“ oder „Bauingenieur“ und über eine Erfahrung von mindestens drei Jahren in seinem Fachbereich verfüge, habe eine Qualitätsanforderung aufgestellt, die strengersei als die Mindestanforderungen der einschlägigen nationalen Vorschrift des Art. 163a Abs. 2 des nationalen Gesetztes über die Raumplanung. Nach dieser nationalen Vorschrift reiche zum Nachweis der technischen Befähigung die Qualifikation eines Bauingenieurs, Ingenieurs, Architekten sowie ein mittlerer Bildungsabschluss mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation aus.

Nach Anfechtung des Bescheides vor einem nationalen Gericht, beschloss dieses das Verfahren auszusetzen und legte dem EuGH u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Vorgaben der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU) es dem öffentlichen Auftraggeber verwehre, eine Qualifikationsanforderung festzulegen, die strenger als die Anforderungen der nationalen Norm ist.

II.    Rechtliche Einordnung

Der EuGH gibt in seiner Urteilsbegründung zu verstehen, dass die Antwort auf diese Frage dem Wortlaut von Art. 58 RL 2014/24/EU zu entnehmen ist. Gemäß Art 58 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie kann ein öffentlicher Auftraggeber Bietern Anforderungen auferlegen, die sich auf die Befähigung zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit bzw. die technische und berufliche Leistungsfähigkeit beziehen. Da aber der öffentliche Auftraggeber selbst am besten zur Beurteilung seiner eigenen Bedürfnisse in der Lage sei, habe der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Auswahlkriterien diesem gleichwohl ein weites Ermessen eingeräumt. Dies zeige sich u.a. durch die wiederholte Verwendung des Verbs „können“ in Art. 58 RL 2014/24/EU. So verfüge der öffentliche Auftraggeber über einen gewissen Spielraum, um diejenigen Bedingungen für die Teilnahme an seinem Vergabeverfahren festzulegen, die seiner Auffassung nach mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen und hierzu verhältnismäßig sowie geeignet seien, die rechtliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter ebenso sicherzustellen, wie ihre technische und berufliche Eignung für die Ausübung des zu vergebenen Auftrags.

Entscheidende Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass die Qualifikationsanforderung durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. Diese Prüfung bleibe aber nach Ansicht des EuGHs den nationalen Gerichten vorbehalten.

III. Fazit

Nach der Entscheidung des EuGHs können öffentliche Auftraggeber im Einklang mit der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (2014/24/EU) in eigenem Ermessen die Teilnahmebedingungen festlegen, die sie für die Ausführung des Auftrags in angemessener Qualität als geeignet erachten. Es kann öffentlichen Auftraggebern folglich nicht mit der bloßen Begründung, eine Eignungsanforderung gehe über das von einer nationalen Vorschrift Verlangte hinaus, verwehrt werden, diese Eignungsanforderung in einem Vergabeverfahren festzulegen, solange die Eignungsanforderung in Verbindung zu dem Auftragsgegenstand und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis steht.

Öffentliche Auftraggeber, die beabsichtigen strengere Eignungsanforderungen festzulegen als in der einschlägigen nationalen Vorschrift angegeben, sollten diese Einschränkung beachten und eine entsprechende gesonderte Begründung für das Festlegen der Anforderung in die Vergabedokumentation aufnehmen.

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